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Prof. Dr. Julia C. Arlinghaus im Interview

"Es braucht noch mehr Anstrengungen bei der Entwicklung offener Datenstandards und Datenaustauschformate"

Frau Prof. Arlinghaus, wie wird die  Prozessindustrie mit Blick auf  Digitalisierung und Automatisierung  im Jahr 2030 aussehen?

In der kommenden Dekade muss die Umstellung auf erneuerbare Energien und von einer linearen auf eine zirkuläre Wertschöpfung gelingen. Digitalisierung und Automatisierung sind dafür der Schlüssel. Produktionsanlagen werden zunehmend autonom. Das bedeutet von Prozessdaten mithilfe von Künstlicher Intelligenz bisher unvorhersehbare Prozessstörungen vermieden und gleichzeitig Wartungsaufwendungen reduziert werden können. Das wird sich positiv auf die Produktivität, aber auch Prozessstabilität und damit sogar auf die Lieferketten auswirken. Die Dekarbonisierung der Produktionsprozesse wird sicherlich die größte Herausforderung sein. Einen Schritt in diese Richtung, den alle Unternehmen spätestens in den nächsten drei Jahren gehen müssen, ist die durchgängige Etablierung von Carbon Footprints über ihre gesamte Produktions- und Prozesskette. Und das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wird fordern, dass dies kurzfristig auf einen Sustainability Footprint ausgeweitet wird. 

Auf welche Technologien und Anwen­dungsbereiche sollte die Prozessindustrie bei ihrer weiteren Digitalisierung setzen? Wo sehen Sie die größten Potenziale? 

Um den nun politisch noch einmal intensivierten Wechsel zu den Erneuerbaren Energien zu bewältigen, brauchen wir die Power-to-X-Technologien. Die Flexibilisierung der Energiebedarfe und die vorübergehende Spei-cherung von Energie in chemischen Rohstoffen bergen große Wettbewerbspotenziale für die Unternehmen. 

Aber Unternehmen müssen auch ihre Hausaufgaben machen: IT-Systeme müssen auf den neuesten Stand gebracht, Schnittstellen harmonisiert werden. Standardisierung, beispielsweise über die sogenannte Verwaltungsschale – mit anderen Worten das Schaffen der technischen Grundlagen für den digitalen Prozess-, Anlagen- und Fabrikzwilling – ist vielleicht die wichtigste Aufgabe. Diese Standardisierung erlaubt die effiziente Modularisierung und Datenerfassung und ist so auch Basis für neue, digitale Geschäftsmodelle. 

Die Herausforderungen der Prozessindustrie 2030 sind komplex und müssen aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden."

Prof. Dr. Julia C. Arlinghaus

Wo sehen Sie die größten Heraus­forderungen auf dem Weg zu einer Prozessindustrie 4.0? 

Um Effizienz- und Nachhaltigkeitspotenziale auch entlang der Wertschöpfungskette zu erschließen, braucht es noch mehr Anstrengungen bei der Entwicklung offener Datenstandards und Datenaustauschformate. Neben der Standardisierung und Harmonisierung der IT-Systeme wird die IT-Sicherheit die zentrale Aufgabe werden. Die Herausforderung liegt hier nicht nur in der Etablierung neuer Technologien und Softwaretools. Auch die Vorgänge und Prozesse in den Unternehmen und entlang der Lieferkette müssen entsprechend angepasst werden. Dies braucht die Beteiligung der Mitarbeitenden auf allen Ebenen und in allen Bereichen. Lebenslanges Lernen muss tatsächlich gelebt werden. 

Was würde helfen, um diese Heraus­forderungen zu überwinden?

Die Herausforderungen der Prozessindustrie bis 2030 sind komplex und müssen aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Wir müssen die Aus- und Weiterbildung genau auf die Interdisziplinarität ausrichten, und das heißt auch: Wir müssen in Aus- und Weiterbildung genauso investieren wie in die Technologie als solche. Wir haben gerade eine Studie zu Risiken in der smarten Produktion abgeschlossen – das größte Risiko ist dabei der Faktor Mensch. Der Mensch, der nicht weiß, wie er mit Technologien richtig umgeht oder die Veränderungen schlichtweg ablehnt. Um die Herausforderung der übergreifenden Standardisierung zu bewältigen, braucht es branchen- und fachbereichsübergreifende Initiativen zur Standardisierung. Auch hier müssen wir über den Tellerrand schauen und statt in Branchen in Wertschöpfungsnetzwerken denken. 

Inwieweit trägt die Digitalisierung  dazu bei, die Prozessindustrie auch nachhaltiger zu gestalten?

Digitalisierung schafft Transparenz. Sie schafft ein besseres Prozessverständnis und hilft so bei der Prozessoptimierung und Reduktion des Ressourcenverbrauchs – nicht nur in einem Unternehmen, sondern im gesamten Wertschöpfungsnetzwerk. Digitalisierung kann auch den scheinbaren Widerspruch zwischen Effizienz, Flexibilität und Nachhaltigkeit auflösen. Zukünftige Produktionsanlagen werden modular sein. Das bedeutet, sie sind skalierbar und damit auch leicht an veränderte Rahmenbedingungen anpassbar. Und dies betrifft eben auch die Transformation hin zur Nutzung neuer Rohstoffe, ebenso wie von erneuerbaren Energien.
 

Veröffentlicht in Ausgabe 04.2021

 

Das Fraunhofer IFF versteht sich als Technologie- und Forschungspartner für Unternehmen, die Industrie 4.0 Wirklichkeit werden lassen und die Zeitenwende hin zu Digitalisierung und Automatisierung mitgestalten wollen.

 

Prof. Dr. Julia C. Arlinghaus leitet seit 2019 das Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung IFF in Magdeburg. Zugleich ist sie Inhaberin des Lehrstuhls für Produktionssysteme und -automatisierung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

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